von Evelyn Martin

Meine Übelkeit in der Magengrube seit der Amtsübernahme der neuen Regierung mit ihrem Programm „Zusammen für Österreich – Regierungsprogramm 2017-2022“, wird allmählich chronisch: Konnten wir Anfang des Jahres  (leider nicht nur in Boulevard-Medien) Nachrichten über Pferde für die Wiener Polizei und nun sogar über die Anschaffung von Sturmgewehren (– wozu wohl, wenn nicht um /unerwünschte/ Demonstranten einzuschüchtern?) – lesen und ungläubig den Kopf schütteln, so wird immer klarer, dass das nicht mehr genügt.

Im ersten Halbjahr 2018 hat die Regierung begonnen eine Reihe Vorhaben umzusetzen, die den österreichischen Sozialstaat schwer schädigen.

  • Der 12-Stunden-Arbeitstag samt 60-Stunden Woche: Diesbezüglich werden die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte ausgehebelt. Hier werden Belastungen für Lohnabhängige ermöglicht, die eigentlich schon vor mehr als 100 Jahren abgeschafft wurden.
  • Was solche Arbeitsverhältnisse individuell und für Eltern mit Kindern bedeuten wird von den verantwortlichen Politikern schön geredet. Nötige Kinderbetreuung wird dagegen immer weniger organisiert und die Mittel der öffentlichen Hand gekürzt.
  • Der „Familienbonus“, der in Wahrheit nur gut verdienenden Eltern nützt. Familien, die finanzielle Entlastungen am dringendsten benötigen würden, sind wegen ihrer niedrigen Einkommen gar nicht in der Lage, den Steuerbonus zu erhalten – sie werden mit einem Körberlgeld abgespeist.
  • Die über den Familienbonus ausgezahlten Gelder fehlen aber jedenfalls, wenn es gilt, gute und flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen mit langen Öffnungszeiten bereit zu stellen, wie sie besonders von Alleinerziehenden benötigt werden.
  • Die Mindestsicherung neu, – die schon längst nicht mehr „bedarfsorientiert“ genannt wird, das wäre nämlich wirklich ein Hohn! – benachteiligt v.a. die, die Geld am dringendsten brauchen. Beispiel Alleinerziehende: Je mehr Kinder desto geringer wird die Mindestsicherung pro Kind! Familien, die davon abhängig sind, können diese Regelung nur als Strafsanktion verstehen.
  • Ich nenne hier nur noch die Abschaffung der Notstandshilfe, aber die Liste ließe sich fortsetzen.

Kein Wunder, dass die Initiatorinnen des FRAUENVOLKSBEGEHRENS auf die Idee kommen, die Familien- und Frauenministerin zum Rücktritt aufzufordern. Die Frauenministerin bringt nicht nur unzähligen engagierten Frauen, die sich seit Jahrzehnten für Besserstellungen und mehr Gerechtigkeit für Frauen einsetzen, keine Wertschätzung entgegen, sondern sie verteidigt die Tatsache, dass Subventionen gestrichen werden mit dem Argument, dass eben zu wenig Geld da sei und mehr für den Gewaltschutz gebraucht werde.

Auch für Kinderbetreuungsplätze wird es weniger Geld geben, statt für erweiterte Förderung zu sorgen. Der Ministerin kommt es offenbar gar nicht in den Sinn, dass sie für Familien UND Frauen zuständig ist und dass die Konsequenzen einer solchen Politik nur „Frauen zurück an den Herd!“ bedeuten kann.

Das FRAUENVOLKSBEGEHREN legt den Finger nicht nur in diese Wunden der Sozialpolitik, sondern es fordert unter anderem zum Thema Arbeit ein Neudenken:

Arbeit verteilen. Frauen „stemmen zwei Drittel aller unbezahlten Haus- und Sorgearbeit und werden daher oft in zeitlich befristete und niedrig entlohnte Teilzeitarbeit gedrängt. Daher fordern wir: • Eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei Lohn- und Personalausgleich • Die staatliche Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, um eventuelle Wettbewerbsnachteile auszugleichen“.

Das FRAUENVOLKSBEGEHREN hat die Arbeit im Frühjahr 2017 begonnen und seine Forderungen in Richtung Gleichberechtigung und echte Partizipation für alle zusammen gestellt. Die Forderung nach Senkung der Wochen-Arbeitszeit auf 30 Stunden ist keineswegs neu. Sie wurde schon längst von Gewerkschaftsgruppen, aber auch. von den christlichen Kirchen in Österreich erhoben. Seither ist durch Ausstattung von Arbeitsplätzen mit Computern und Robotern die Arbeitsproduktivität um ein Vielfaches gestiegen. Die Aufteilung der Arbeit könnte so generell gerechter auf die Lohnabhängigen verteilt werden.

Die Frauenministerin? Sie tut diese Überlegungen als „Unsinn“ ab.

Der Ersatz der Frauenministerin durch eine andere Person wird aber kaum eine Verbesserung dieser Politik bringen.

Es ist die gesamte Bundesregierung, die in ihrem Regierungsprogramm den Tenor vorgibt und im letzten halben Jahr hauptsächlich daran gearbeitet hat, sozial-feindliche Maßnahmen als positive Errungenschaft zu verkaufen. Dazu werden bei jeder Gelegenheit und nahezu von allen Ministern und Ministerinnen Feindbilder nach dem Vorbild der F-Partei bedient und dank der Unterstützung der Boulevard-Medien als positiv und als Fortschritt verkauft. Das klassische Beispiel: Migranten, – Flüchtlinge mit-gemeint! an unseren sozialen Errungenschaften teilhaben, gefährden anscheinend die ganze Wirtschaft und alle Welt. Die Lösung unserer Regierung: Die Einwanderung generell unmöglich zu machen. Sonst müsste Österreich – immer noch eines der reichsten Länder der Welt – womöglich teilen… Der Bevölkerung wird eingeredet, dass Zuwandernde ihren Lebensstandard und ihre Sicherheit zerstören würden, die Zahl der tatsächlich Einwandernden, die ein Bleiberecht erhalten, sind diesen Phantasien gegenüber äußerst gering. Experten sind sich darüber einig, dass unser Sozialsystem in Hinkunft nur durch Zuwanderung aufrecht erhalten werden kann. das heißt, Zuzug könnte eventuell kurzfristig soziale Leistungen schmälern, mittelfristig ist er aber für unseren Sozialstaat unerlässlich.

Was will die Regierung wirklich? Ihre Programmatik und ihre Maßnahmen zeigen, dass sie

  • Eliten fördern will. Dazu gehört das traditionelle Familienbild, möglichst mit der „Frau und Mutter zu Hause“, alles im Dienste der neoliberalen Wirtschaft und ohne Rücksicht auf individuelle Lebensgestaltung und Selbstbestimmung, besonders der Frauen.
  • Ein Backlash in der Gesellschaft, was Autonomie und Selbstbestimmung von Frauen betrifft: Kürzungen für Kinderbetreuung statt Ausbau der Betreuungseinrichtungen, mehr Frauen in Teilzeitjobs, mit größerer Abhängigkeit vom Partner, und in der Folge niedrigeren Pensionen.
  • Jedenfalls eine erhöhte Belastung von allen allein stehenden Personen, mit und ohne Kind.
  • Kürzungen (bis zu Streichungen!) der Mittel von Fraueninitiativen, die teils jahrzehntelang wichtige Bildungsarbeit geleistet haben, wie z.B. die Zeitschrift „Frauensolidarität“, bis hin zur Streichung finanzieller Unterstützung für Frauenberatungsstellen, obwohl diese einen bedeutenden Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Wie lange lassen sich das die Frauen in Österreich gefallen? Das traditionelle Familienbild, das uns die Regierung als „Norm“ vorgaukelt ist heute mehr denn je nur für eine verschwindende Oberschicht-Minderheit lebbar, während es für 95% der Frauen mit massiven Rückschritten bei  Emanzipation und Selbständigkeit verbunden wäre?

Das FRAUENVOLKSBEGEHREN hat sehr genau überlegt, was Österreichs Gesellschaft für eine gerechte Zukunft braucht. Neben der erwähnten Arbeitszeitverkürzung geht es um

  • Macht verteilen – d.h. Beteiligung von Frauen in allen Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik
  • Vielfalt leben – d.h. Loslösung von Geschlechterklischees und abwertenden Frauenbildern in allen Medien und Unterrichtsmaterial
  • Selbst bestimmen – d.h. kostenlose Aufklärung zur Selbstbestimmung einer eigenen Sexualität
  • Gewalt verhindern – in Bezug auf sexuelle Gewalt und Übergriffe
  • Schutz gewähren – speziell für Frauen und Mädchen, die durch Migration Opfer von Menschenhandel wurden
  • Einkommensunterschiede beseitigen
  • Arbeit verteilen
  • Wahlfreiheit ermöglichen

Hier werden Ziele angesprochen, die Österreich dringend braucht. Das Volksbegehren ist eine äußerst wichtige Bewegung der Zivilgesellschaft. Es sind Gegenpositionen zu dem was die derzeitige Regierung anstrebt.

Lasst uns dazu nicht länger schweigen!