Rumänien schlittert in demokratiefeindliche Strukturen
Autorin: Dr. Rubina Möhring
Die Bilder waren erschreckend. Zehntausende Menschen hatten Freitagabend gegen Korruption, gegen Intransparenz, gegen Vetternwirtschaft seitens der regierenden Postsozialisten demonstriert. Mit aller Brutalität prügelten Polizisten die Demonstranten nieder, droschen mit ihren Schlagstöcken auf diese ein, fegten sozusagen mit Wasserwerfern und Tränengas den Platz vor dem Regierungssitz leer. 452 Menschen wurden verletzt, 66 mussten in Krankenstationen gebracht werden. Auch der ORF-Kameramann wurde von der Polizei zusammengeschlagen.
Noch zu Mitternacht berichtete ORF-Korrespondent Ernst Gelegs in einer Liveschaltung aus Bukarest. Das Gespräch mit der ZIB 24 wurde gewaltsam unterbrochen. Gelegs meldete sich per Telefon wieder. Auch dieses Gespräch konnte nicht richtig beendet werden. Gelegs war ruhig, gelassen, durch und durch professionell. Ein journalistisches Bravourstück im Sinne der Informationsfreiheit.
Nicht nur in der Hauptstadt Bukarest, auch in anderen Städten hatten Mitglieder der Zivilgesellschaft gegen die Politik der Regierung protestiert. „Gerechtigkeit statt Korruption“ skandierten die Demonstranten und forderten den Rücktritt der regierenden sozialdemokratischen Partei PSD. Deren Vorsitzender Liviu Dragnea ist ja wegen Wahlbetruges vorbestraft und darüber hinaus wegen Anstiftung zu Amtsmissbrauches in erster Instanz verurteilt. Premier ist nun Vasilica Viorica Dancila, genannt die Marionette. Auch ihr wird Korruption und Bevormundung der Justiz vorgeworfen.
Demonstranten forderten die Rücknahme des Gesetzes
Einer der Auslöser für die Demonstrationen war die Absetzung der unbeirrbaren Staatsanwältin Laura Kövesi, die zahlreiche Politiker vor Gericht gebracht hatte. Ein neues Gesetz sollte nun prominente Politiker vor juristischen Korruptionsverfahren bewahren. Die Demonstranten forderten die Rücknahme des Gesetzes.
Auslöser für die Gewaltorgie der Bukarester Polizei waren Vermummte, die sich unter die friedlichen Demonstranten gemischt hatten. Das ORF-Team drehte zufällig in der Nähe solcher Provokateure. Den Kameramann erwischten die Polizeischlagstöcke. ORF-Korrespondent Ernst Gelegs und sein Team suchten einen scheinbar sichereren Standort auf.
Kühl und gelassen berichtet
Ernst Gelegs ist jener langjährige ORF-Korrespondent, dessen Abzug von seinem Posten der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates, Norbert Steger im Frühjar gefordert hatte. Gelegs hatte Anfang April über den jüngsten Wahlsieg des Fidesz-Politikers Victor Orbán genauso kühl und gelassen berichtet. Kein Wort der Kritik, aber auch kein Anzeichen überschäumender Freude. Schlicht professionell. Die OSZE allerdings die regierende Fidesz-Partei wegen einschüchternder Stimmungsmache. Presse- und Vereinigungsfreiheit seien während des Wahlkampfes beschnitten gewesen, auch der Zugang zu Informationen. Die Wahl habe in einem feindlichen Klima stattgefunden, resümierte damals der OSZE-Wahlbeobachter Douglas Wake.
Das FPÖ-Urgestein Norbert Steger, ein Freund der Orbánschen Politik, kritisierte jedoch aus heiterem Himmel Ernst Gelegs wegen einseitiger Berichterstattung und verlange dessen Absetzung wegen mangelnder Professionalität. Auch merkte er an, ein Drittel der ORF-Korrespondentenschaft nach Wien zurückbeordern zu wollen, sollte nicht korrekt berichtet werden. Steger kandidierte damals ja für seinen heutigen ORF-Posten. Diese Äußerungen hätten zu einer Disqualifizierung führen müssen. Aber: der 74jährige Norbert Steger wurde von beiden Regierungsparteien in den Sessel des Stiftungsratsvorsitzenden des ORF gehievt.
Bundeskanzler verlangt volle Aufklärung
Politische Freunderlwirtschaft gibt es bekanntlich im heutigen Österreich nicht. Der Bundeskanzler fand den damaligen, verbalen Ausritt von Norbert Steger nicht eines Wortes würdig. Der Medienminister und enge Vertraute des Kanzlers sah in der Debatte rund um Stegers Sager keinen „echten medienpolitischen Diskurs“. Angesichts der Demonstrationen in Bukarest jedoch griff am Samstag Kanzler Kurz kurzentschlossen zur Feder, um Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung in Rumänien einzufordern. Er verlangt volle Aufklärung.
Hoffen wir, diese Aufklärung erfolgt schneller als jene über die schlagenden Burschenschaften samt NAZI-Texten in ihren Liederbüchern seitens der FPÖ-Historikerkommission. Hoffen wir, auch in diesem Fall nimmt Kurz eine klare Stellung ein und bittet um Rapport. Auch hier geht es um das Recht der Information, festgehalten in den Menschrechtskonventionen der UN und der EU. Dem ORF-Kameramann wünscht Kurz übrigens schnelle Genesung.
„In einer echten Demokratie hat jeder das Recht zu demonstrieren, doch ist Gewalt – unabhängig von den politischen Ansichten – inakzeptabel“ teilte Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis in der Nacht zum Samstag via Facebook mit. Das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten in Bukarest sei „gemessen am Verhalten der Mehrheit der Demonstranten völlig unverhältnismäßig gewesen“. Bei den Demonstrationen am folgenden Tag hielt sie sich daraufhin zurück. Wie und ob das Land zur Ruhe kommt, ist eine andere Frage.