Michael Kerbler. Foto: privat

Der Frühverkehr hat schon begonnen nachzulassen. Auch in den Öffis. Und auch in der U4, mit der ich unterwegs bin. Sehr viele Menschen lesen eine Gratiszeitung. Andere beschäftigt das Smartphone. Als die Volksschulklasse den Waggon verlassen hat, wird es ruhig. Mein Blick fällt auf einen jungen Mann, blonde Haare. Um die dreißig Jahre, schätze ich. Sportliche Kleidung, so, als würde er unterwegs sein in die Berge. Nur der Backpack fehlt. Als er aufsteht und sich zur Tür stellt, um auszusteigen, bemerke ich das gut zehn Zentimeter große Tattoo, das er unübersehbar auf seiner linken Halsseite trägt. Es ist eine Rune, genauer die 24. und damit letzte Rune im alten Runenalphabet der Germanen. Genau jene Rune, mit der sich die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ dekorierte. Genau jene Rune, die auch die HJ, die Hitler-Jugend, verwendet hat. Die sogenannte Odal-Rune,  auch „Othala“ genannt. Das Tragen dieser Rune – selbst in abgewandelter Form – ist in Österreich nach dem Abzeichengesetz strafbar. Aber auch das Verbotsgesetz stellt die Verwendung der Rune unter Strafe, weil das Symbol einer in Österreich verbotenen Organisation zugerechnet wird. Etwa dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS der Nationalsozialisten.

Wer dieses Zeichen also trägt, zeigt demonstrativ, welcher Geisteshaltung er anhängt. Neonazis verwenden die Odalrune bevorzugt. Aber so offen, so provokant offen, wie der junge Mann das verbotene Symbol zur Schau stellt, habe ich lange nicht erlebt.

Keine Woche später. Am Schottentor, die Rolltreppe führt aus dem „Jonasreindl“ hinauf zur Schottengasse. Vor mir zwei Männer, wahrscheinlich keine vierzig Jahre. Oben wartet ein dritter Mann auf die beiden. In dem Moment, wo ich die Dreier-Gruppe passiere, sagt einer der Männer: „Dreimal elf“. Im Weitergehen löst dieses „Dreimal elf“ unwillkürlich einen Nachdenkprozess aus. Was meint der Mann mit „Dreimal elf“? Mein Gedächtnis antwortet. Dreimal der elfte Buchstabe des Alphabets. Dreimal K. „KKK“. Meint Ku-Klux-Klan. Da benutzt jemand in Wien diesen Rassistengruß eines militanten US-amerikanischen Geheimbundes, der seit 1865 besteht und den die Mitglieder „Invisible Empire“ nennen. Auch in Deutschland gibt es ein Netzwerk von KKK-Organisationen, gegen die zu Beginn dieses Jahres eine Großrazzia der Polizei stattfand. Eines, sagte die Polizei, hätten die Mitglieder der Organisationen gemeinsam: „Glorifizierung des Nationalsozialismus“.

In der Schweiz missbrauchten Neonazis in der Stadt Schwyz Anfang März ungeniert die Schwyzer Fasnacht, um in Ku-Klux-Klan-Kutten und weißen Kapuzen zu paradieren. Die Männer führte eine Fahne mit sich, auf der das „Keltenkreuz“ zu sehen ist, das in den USA von der White-Power-Bewegung benutzt wird und auch in Europa als Symbol für die „Überlegenheit der weißen, nordischen Rasse“ steht.

Ein paar Wochen zuvor. Im D-Wagen. Jener Straßenbahn-Linie, die vom Hauptbahnhof in Favoriten bis nach Nußdorf im 19. Bezirk fährt. Am Franz-Josefs-Bahnhof steige ich ein. Ein älterer Mann drängt sich an mir vorbei, überholt den Schwarzafrikaner vor mir. Es gelingt ihm den Mann, der sich soeben setzen will, zu überrumpeln. Er okkupiert den Sitzplatz mit den Worten: „Sie wer’n doch net glauben, dass Sie da bei uns sitzen kennan. Steh dirfn’S!“ Und macht eine wegweisende Geste. Ich kann nicht anders. Ich gehe zu dem Mann und spreche ihn an. „Wenn Sie, so wie ich, viele Jahre in Afrika unterwegs gewesen wären und die Gastfreundschaft dort kennengelernt hätten, dann würden Sie nicht so unfreundlich agieren. Das tut man nicht.“ Der Mann blickt demonstrativ aus dem Fenster. Er ignoriert mich. Aber im Waggon ändert sich etwas. Zwei, drei Fahrgäste äußern sich kritisch über das Verhalten des Fahrgasts und versuchen so dem jungen Afrikaner Sympathie zu signalisieren.

Wenn Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ den in der Ideologie der Identitären zentralen Begriff des „Bevölkerungsaustauschs“ benutzt, (was Identitären-Chef Martin Sellner demonstrativ freut), und jede Kritik daran als „Wortklauberei“ bezeichnet, darf man sich nicht wundern, dass sich jene ermutigt fühlen, die meinen, es sei endlich die Zeit gekommen, ihre Haltung sichtbar zu machen: ob durch die „Odal-Rune“, durch rassistische Grußformeln oder durch Gesten aus dem Repertoire des österreichischen Alltagsfaschismus, den Thomas Bernhard immer wieder gegeißelt hat. Da fällt mir ein, dass bei der Premiere des Bernhard-Schauspiels „Heldenplatz“ der gegen das Stück lauthals demonstrierende junge H. C. Strache mit dabei war. Auch diese Szene gehört zur Vergangenheit des Vizekanzlers dieser Republik.

©Michael Kerbler